Die demokratische Gürtellinie

Tag Eins nach der Europawahl. Die Regierungsparteien in Deutschland haben verloren, ihre Gegner gewonnen. Demokratischer Alltag. Politische Macht kommt und geht, und genau das ist freiheitlich-demokratisch, das ist unsere gemeinsame Grundordnung - nicht eine, wie auch immer geartete, Leitkultur.

Nicht nur, aber leider besonders hier im schönen Bayern wurde eine demokratische Partei, mit deren Hilfe man noch jüngst hoffte, Kanzler zu werden, zur Unpartei gemacht. Und ja, es hat gewirkt. Man wurde stärkste Kraft. Der politische Gegner hat einen massiven Wirkungstreffer bekommen. Dass die Feinde Europas nun an Stelle zwei stehen, wird wohl als Kollateralschaden verbucht, und natürlich verneint man jeden Zusammenhang, auch wenn die selben Narrative bedient wurden.

Es ist die Logik des Tiefschlags. Wirksam, wenn er durchgeht. Aber er macht den Sport kaputt. Oder die Demokratie.

nvb.06.2024

Grundrechte


Im Grundgesetz finden sich, unschwer erkennbar, Grundrechte unterschiedlicher Tragweite oder Absolutheit. Herausragend ist Artikel 1, der die Unantastbarkeit der Würde des Menschen feststellt. Er ist absolut und kann durch nichts und niemand beschränkt oder außer Kraft gesetzt werden.

Aus ihm leiten sich weitere absolute Grundrechte ab, wie das Verbot von Folter und insbesondere die unumstößliche Bestimmtheit, dass menschliches Leben niemals als lebensunwert definiert und darauf basierend ausgegrenzt, beseitigt, entsorgt werden darf.

Einzige Bedingung für dieses absolute Grundrecht auf Unantastbarkeit der Würde ist Menschsein.

Aber wer definiert auf welcher Grundlage das Menschsein, also die Bedingung unantastbarer Würde und der Unterscheidung zur würdelosen Kreatur oder Lebensform?

Was, wenn irgendwann der Yeti doch lebend entdeckt wird? Schützt ihn Artikel 1 oder dürfen wir ihn fangen, ausstellen, ausstopfen. Was, wenn sich herausstellt, dass manche Erdbewohner, vielleicht im Meer, bezüglich geistiger, emotionaler und kultureller Entwicklung durchaus dem Menschen (homo) gleichstehen oder gar darüber, was auch immer das hieße.

In letzter Konsequenz wird wohl ein universales Grundrecht auf Unanatstbarkeit der Würde des Lebens die Antwort sein müssen. Sonst bleibt es ein relatives Grundrecht einer selbstdefinierten Auslese mit Absolutheitsanspruch.

Aber das ist ein anderes Thema.

Neben dem absoluten Grundrecht kennt das Grundgesetz noch diverse Grundrechte, die durch Gesetze beschränkt sein können (Körperliche Unversehrtheit versus Notwehr, Freizügigkeit versus Gefängnisstrafe, Unverletzlichkeit der Wohnung versus Hausdurchsuchung usw.) oder nur für Bürger, aber keineswegs alle Menschen gelten (z.B. Versammlungsfreiheit).

Und dann gibt es noch Grundrechte, die gar nicht im GG stehen, wie das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung. Einfach ausgedrückt besagt es, dass alle lebenden Menschen (natürliche Personen) das alleinige Recht haben, über die Speicherung und Verarbeitung sie betreffender Informationen (personenbezogene Daten) zu entscheiden.

Es kann, wie viele andere Grundrechte durch Gesetze eingeschränkt werden und wird es auch. Die Geburt eines Menschen wird in staatlichen Melderegistern gespeichert ganz ohne Einwilligung, aber auf gesetzlicher Basis. Auch die Registerdaten der Strafverfolgungsbehörden werden ohne Einverständnis der betroffenen Personen gesammelt. Alles andere wäre auch reichlich absurd und das Gemeinwesen würde nicht funktionieren, gäbe es keine rechtliche Basis für die Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten.

Womit wir am Punkt wären.

Allgemeine rechtliche Grundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten sind nötig, und manche mögen fehlen. Aber es gibt kein Grundrecht auf Verarbeitung personenbezogener Daten, sondern ein Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung. Auch wenn das viele nicht sehen wollen, wenn Datenschutz mal wieder nicht praktikabel ist: Polizeiarbeit ohne Folter galt einst auch als nicht praktikabel. Heute will aus guten Gründen so gut wie niemand die Folter zurück, nicht mal in Fällen, in denen sie nutzbare Ergebnisse bringen könnte. Einfach weil der Kollateralschaden an unserer Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung zu groß wäre.

Was aber nützt ein Grundrecht, wenn die dadurch geschützten Bürger es als zwar im Prinzip richtige, aber paranoid-lästige Störquelle ansehen.

nvb.05/09.2024

Linux* und Demokratie


Würden Sie ein chinesisches Betriebssystem einsetzen?

Eben.

Warum benutzen Sie dann ein Betriebssystem, geliefert aus einem Staat, der Softwareherstellern den Einbau von Hintertüren (Backdoors) und Beobachtung wie Übermittlung von Nutzerdaten an die eigenen Behörden und Geheimdienste gesetzlich vorschreibt, worüber ein Geheimgericht wacht?

Keine Frage, es ist sehr zugespitzt formuliert. Bezüglich Achtung der Menschenrechte, bürgerlicher Freiheiten und Privatsphäre gibt es zwischen diesen beiden Staaten fundamentale Unterschiede - und im Präsidenten-Wahljahr 2024 ist zu hoffen, dass es auch so bleibt. Sicher ist das nicht.

Nicht weniger klar ist, dass es schon sehr großes, wenn nicht blindes Vertrauen in den Staat und unsere transatlantischen Freunde braucht, wenn man private oder wirtschaftlich sensible Daten mit Betriebssystemen und Programmen von Firmen verarbeitet, die staatliche Behörden per Gesetz umfassend und verdachtsunabhängig aktiv informieren müssen.

Persönlich habe ich nicht wirklich etwas zu verbergen und auch Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Trotzdem würde ich niemals meinen Hausschlüssel bei der Polizei abgeben wollen, damit sie regelmäßig bei mir 'nach dem Rechten sehen kann'. Danke, das kann ich selber.

Linux ist unbequem. Die Einarbeitung dauert länger als bei den beiden grossen kommerziellen Betriebssystemen. Dafür gibt es immer noch Kompatibilitätsprobleme. Die sind zwar oft hausgemacht und gewollt, aber dennoch lästig.

Aber Linux ist auch frei, wie in Freiheit (und auch kostenlos, wie in Freibier). Linux hat keine geheimen Programmteile. Millionen von Anwendern und Entwicklern suchen nach Fehlern und Ungereimtheiten. Versuche von großen staatlichen Akteuren, Hintertüren einzubauen, gab es immer wieder, zuletzt wohl vor ein paar Tagen. Aber sie werden auch früher oder später entdeckt, es ist nicht möglich, eine weltweite dezentrale Community dauerhaft zu überwachen, zu bestechen, zu bedrohen.

Es wird Zeit, die Digitalisierung demokratisch-rechtsstaatlich in die Hand zu nehmen. Linux ist ein wesentlicher Baustein.


* Das Gesagte gilt natürlich nicht nur für GNU/Linux, sondern genauso für die BSD-Familie oder GNU/Hurd.
Linux ist aber derzeit die einzige praktische Möglichkeit für Anwender.

nvb 04.2024

S-Effekte


"Si tacuisses, philossophus manisses", wird der weise Boetius gerne frei zitiert. Heute geht es zwar nur selten darum, durch Zurückhaltung Geisteskraft zu zeigen, aber immerhin kann dadurch so mancher Unbill erspart bleiben. Dies musste vor nicht allzu langer Zeit auch Barbara S. feststellen, Namensgeberin des Streisand-Effekts.

Kaum vorstellbar, dass der gelernte Jurist und Medienprofi Markus S. das nicht weiss. Umso mehr erstaunt es, mit welcher Vehemenz und Lautstärke er gegen die Liberalisierung des Umgangs mit Cannabis wettert. Tatsächlich verschafft zumindest in Bayern wohl niemand dem Thema mehr Gehör als MS und Gefolgschaft.

Wenn man etwas zusammendrücken will, so muss man es erst ordentlich sich ausdehnen lassen.
Laotse, Tao Te King

Mag hier das wahre Handlungsmotiv zu finden sein? Will Markus S. den vermuteten Volkszorn so bis zur Unkenntlichkeit aufblähen, dass die Selbstauflösung in Absurdität logische Folge sein muss. Hat M.S. am Ende gar was geraucht? (Bier mag er ja - höchst verdächtiger Weise und trotz Anstoss am Nockherberg - nach eigener Aussage nicht).

Oder ist dieses Letzte Aufgebot doch nur eine ewig-gestrige Schnapsidee.

nvb.04.2024

Brokkoli


Es hüpft ein BiBaBubatzmann im Bundesrat herum.
Er windet und er schüttelt sich, der Maggus,
doch das nützt ihm nichts.
An Ostern kommt der Bubatzmann
und macht sein Säcklein auf.

nvb 22.03.2024

Abschöpfungssteuer


Die Besteuerung von Vermögen ist in Deutschland verfassungsrechtlich und sozial ein schwieriges Thema, zugleich aber könnte sie viel dringend benötigtes Geld in die Staatskasse bringen. Entsprechend zirkulieren Begriffe von Milliardärssteuer bis Neidsteuer, je nach politischer - und finanzieller - Verortung der Kommentargeber(innen). Tatsächlich kann eine Vermögenssteuer auch bei erheblichen Vermögenswerten ungerecht und schädlich sein, wenn wirtschaftlich aktives, gewinnbesteuertes (Betriebs-)Vermögen zusätzlich besteuert wird.

Weniger Dissens herrscht bei der Problematik, dass internationale Konzerne - oder ebenso internationale Superreiche - in Deutschland und Europa gigantische Wertschöpfung betreiben, sei es finanziell oder in Form von Sicherheit und Lebensqualität, aus dieser Wertschöpfung aber nur wenig an die Gemeinschaft zurückgeben, die ihnen das erst ermöglicht. Wer hier Autofabriken und Handelszentralen aufbaut oder in Luxusvillen vom Staat geschützt seinen Reichtum genießt, sollte auch hier Steuern zahlen müssen. Leider ist das leicht zu umgehen und nur schwer zu korrigieren.

Eine verrechenbare Vermögenssteuer könnte vielleicht elegant helfen:

Wer auch immer - natürliche Person oder Konzern - in Deutschland oder anderen europäischen Ländern Vermögenswerte hat, muss auf diese inländischen Vermögen auch inländisch Steuern entrichten. Verrechenbar mit anderen Steuerarten, die im jeweiligen Land gezahlt werden. Das heisst, Vermögen werden nur in der Höhe besteuert, um die andere gezahlte Steuern niedriger ausfallen, als die anfallende Vermögenssteuer. Wer alle Steuern vermeidet, zahlt dann eben volle Vermögenssteuer.

Wer hingegen satte Gewinne versteuert und nicht ableitet, dem seien sie auch gegönnt und dürfen nicht zusätzlich belastet werden. Ebenso können gemeinnützige Investitionen (Spenden, Stiftungen) von der Vermögenssteuer abzugsfähig sein und so den Vermögenden Gestaltungsraum für ihre Eigentumsverpflichtung bieten. Und natürlich muss es Schonfristen nach wirtschaftlichen Investitionen geben.

Entscheidend ist, dass Wertschöpfung nur bei entsprechender finanzieller Beteiligung am Gemeinwesen möglich ist. Sonst ist es Wertabschöpfung.

nvb 12.2023, 05.2024

Tempolimit


Umfragen legen nahe, dass zumindest eine leichte Mehrheit, mich eingeschlossen, ein generelles Tempolimit von 130 befürworten würde. Die Realität auf den Autobahnen zeigt, dass es eher mehr als 50% sind, die damit leben können und selten schneller fahren. Es gibt aber auch strikte Gegner, sei es aus persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen. Die Frage der Sinnhaftigkeit reduzierter Maximalgeschwindigkeit ist in der Realität wohl auch weit weniger umstritten und kontrovers, als es die öffentliche Berichterstattung und Foren vermitteln. Aber es gibt nun mal auch massiven Widerstand und der unbedingte Wille zur Durchsetzung auf beiden Seiten führt zu nichts als Blockade.

Ein Vorschlag zur Befriedung:

  1. Wer - und gerne mit staatlicher Förderung - sein Auto elektronisch auf 130 drosselt und dies per Aufkleber kundtut, wird von der KFZ-Steuer befreit, die aufkommensneutral auf die ungedrosselten KFZ umgeschichtet wird. Versicherungen werden wohl ganz automatisch nachziehen.

  2. Unnötiges Linksfahren bleibt verboten, aber niemand darf genötigt werden, schneller als 130 zu fahren, d.h. wer mit 130 LKW-Kolonnen überholt, muss nicht bremsen, um einscheren zu können und schnellere Fahrer überholen zu lassen.

Damit können die Schnellfahrer - gegen Aufpreis und wenn die Autobahn wirklich frei ist - schnell fahren, und die umweltorientierten, aber vielleicht unentschiedenen, erhalten einen zusätzlichen Anreiz. Das führt dann zwar nicht zu 100% Tempolimit, was ein Gesetz allerdings auch nicht erreichen würde, aber vielleicht zu mehr gegenseitiger Toleranz und 90% Tempolimit.

nvb 11.2023

Impressumverbot?


Nein, das gibt es natürlich nicht und ginge auch zu weit - wie die Impressumpflicht.

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Und ein gefährliches Gut. Sie muss geschützt werden, vor Zensur wie vor Missbrauch. Daher gibt es die Impressumpflicht für Publikationen, egal ob gedruckt, gesendet oder im Web. Wer Meinung äussert, muss sich auch zu erkennen geben. Daran ist - in einem Rechtsstaat, der Meinungsfreiheit grundsätzlich garantiert - nichts zu kritisieren. Im Gegenteil.

In der Praxis aber führt die heutige Rechtslage zu einem Ungleichgewicht, das faktische Zensur bedeutet. Nicht durch den Staat, sondern durch die Gegner der Meinungsfreiheit.


Wie das?

Jede nicht rein private Website muss im Impressum eine verantwortliche Person und deren umfassende Kontaktdaten nennen. Dabei sind Webseiten schon dann nicht privat, wenn sie zwar keinerlei geschäftliche Zwecke verfolgen, aber anderen als rein privaten Zielen dienen können.

Während große Online-Medien der Impressumpflicht technisch, rechtlich und logistisch gewachsen sind, ist das für Betreiber kleiner Webseiten anders. Die Kontaktdaten im Impressum sind notgedrungen die Privatanschrift, private Telefonnummer und eine tatsächlich gelesene Email-Adresse. Während letztere nur ein Einfallstor für Spam darstellt, bedeutet die Veröffentlichung der Privatadresse, dass Meinungsäusserungen zu kontroversen Themen zu einem erheblichen und nicht kalkulierbaren persönlichen Risiko werden können.

Selbstzensur ist die kaum vermeidbare Konsequenz.


Was tun?

Für .de Domains werden die Kontaktdaten schon lange nicht mehr öffentlich bekannt gegeben. Sie sind aber in berechtigten Fällen, z.B. bei Verdacht auf Straftaten verfügbar. Entsprechend könnte für .de Domains - in Verbindung mit Validierung der Inhaberidentität z.B. via Postident - die Impressumpflicht entfallen, sofern sich Domaininhaber als inhaltlich Verantwortliche benennen.

Der ursprüngliche Schutzzweck der Impressumpflicht, die Verbreitung rechtswidriger Inhalte im Schutz der Anonymität zu verhindern, wäre damit zumindest für .de-Domains nicht nur formal, sondern aufgrund der Inhabervalidierung auch tatsächlich erfüllt, und gleichzeitig die legitime Meinungsäußerung vor Übergriffen deutlich besser geschützt.

nvb 10.2023

Mythos Röhrenwatt


Röhrenverstärker sind lauter als klassische Transistorverstärker. So hiess und heisst es immer wieder. Und ein hundert Watt Marshall kann wirklich unfassbar laut sein. 100 W Transistorverstärker kommen da meist nicht annähernd hin. Andererseits sollten hundert Watt hundert Watt sein, egal aus welchem Verstärkerelement sie kommen. Alles andere würde die Gesetze der Physik auf den Kopf stellen.


Und so ist es auch.

Ein sinusförmiges Signal (oder auch jedes andere, das in beiden Fällen identisch ist) am Verstärkerausgang mit einer Spannung von 32V wird an einem Lautsprecher mit 8 Ohm zu einen Strom von 4 Ampere führen und damit eine Leistung von 128W abgeben. Signal, Ton und Lautstärke werden exakt gleich sein, ganz egal ob es sich um den Ausgang eines Transistor- oder Röhrenverstärkers handelt.

Im praktischen Vergleich Transistor vs Röhre ist aber nicht das Ausgangssignal gleich, sondern das Eingangssignal, das z.B. von der Stromgitarre kommt. In keinem Fall ist die Ausgangssignalform (und damit der Klang) exakt identisch mit dem Eingangssignal, sondern neben der verstärkten Spannung und höheren maximalen Stromstärke sind Signalform und Klang auch immer mehr oder weniger verbogen. Womit wir bei den Äpfeln und Birnen wären.

Klassische Transistorverstärker, solange sie nicht hörbar verzerren, verändern das Signal nur geringfügig, teilweise kaum messbar. Röhrenverstärker beeinflussen es sehr viel stärker, selbst High-End Audioröhrenverstärker. Sonst könnte es ja nicht besser, klarer, transparenter, raumfüllender etc. klingen. Manche Transistorverstärkertypen tun das ebenfalls. Diese Signalveränderungen sind der Hauptgrund, warum Röhrenverstärker und spezielle Transistorverstärker tatsächlich lauter sind als klassische Transistorverstärker: Weil sie aus Äpfeln Birnen machen.


Und dann war noch der Clou des 'Father of Loud'

Jim Marshall's erste Verstärker waren eigentlich elektrisch angepasste Nachbauten des Fender Bassmann, der mit vier 6L6 Röhren nominal 100W lieferte. Der Marshall hingegen wurde mit EL34 Röhren bestückt, womit er auf etwa 120W kommt, was Jim Marshall, vielleicht ja aus Unwissen, nicht sagte, und ihn ebenfalls mit 100W anpries. Mit magischen britischen 100W, und die sind eben lauter als amerikanische ...

nvb 10.2023

Astrologie und Aberglaube


Herbstkatzen sind zierlicher als Maikatzen. So lehrt die Erfahrung und irgendwie logisch ist es auch. Zumindest in freier Natur bekommen sie einfach weniger Futter.

Mit der Erkenntnis der Jahrszeiten und dieser Erfahrung kann man tatsächlich etwas über die Zukunft aussagen: über die Statur noch nicht geborener Katzen. Auch gibt es einen klaren Zusammenhang zum kalendarischen Stand unseres Zentralgestirns. 'Weiss ich wo die Sonne steht, weiss ich wie die Katzen werden'.


Astrologie ist Kalenderwissen

So magisch sind diese Erkenntnisse gar nicht. Die fixen Zeichen an Himmel und Erde werden beobachtet und mit wiederkehrenden, signifikannten Erfahrungen zusammengebracht. Die Entwicklung des Kalenders. Und mit dem deutlichen Fokus auf Vorhersage. Prognosewissenschaft, nicht anders als heute: Beobachten und nach Dimension und Zeit sortieren um kommende Ereignisse vorhersehbarer zu machen.


Sterne sind der Kalender

Die zyklischen Bewegungen der Sterne, besonders von Sonne und Mond oder Mond und Sonne bestimmen Jahreszeiten und ermöglichen, sie zu erkennen. Kalendarische Teilungen sind an astronomischen Ereignissen orientiert. Tag ist, wenn die Sonne da ist. Sommer, wenn die Tage länger werden, als die Nächte. Ganz einfach.


Aberglaube ...

Die Astrologie wird von manchen intensiv betrieben, von anderen kritisch beäugt und nicht selten belächelt bis gehasst. Es gibt ja auch teilweise sehr seltsame Blüten. Was gerne übersehen wird, methodisch ist die Astrologie gar nicht schlecht aufgestellt. Die geozentrische Notation ist für den Zweck, Darstellung der Planetenpositionen relativ zur Erde, durchaus geeignet. Die Sonne als Planeten zu bezeichnen ist Unsinn, aber kontextbezogen auch nicht verfälschend.

Einen Zusammenhang zwischen astronomischen Konstellationen, resultierenden Ereignissen wie Jahreszeiten, Tag und Nacht oder Ebbe und Flut, auch Sonnenstürmen und dem Verhalten und der Entwicklung der Erdenbewohner und anderer Prozesse wird man nicht ernsthaft in Frage stellen können. Gezeiten gibt es, Tag und Nacht auch, und natürlich wirken sie sich - in Grenzen erkennbar - auf alles aus, nicht nur Menschen. Es wäre auch wenig überraschend, wenn der Geburtszeitpunkt, verbunden mit dem Geburtsort, eine gewisse Aussagekraft hat über die typische Erfahrungsabfolge eines Neugeborenen hat. Es ist halt anders, wenn man im Sommer geboren wird und dann wird es kälter und dunkler, als wenn man im Winter geboren wird, und es wird zunehmend besser - bis es wieder schlechter wird.


... und Allmachtsanspruch

Der Aberglaube beginnt beim Anspuch der unbegrenzten Erkennbarkeit. Der Zusammenhang zwischen astronomischer Konstellation und irdischen Ereignissen ist offenkundig. Das kann man getrost glauben. Aberglaube wird daraus, wenn es zum Glauben an die Allmacht der Erkenntnis (oder jede andere Unbegrenztheit) wird. Wie weit die Einwirkungen der Gestirnskonstellationen gehen, können wir nicht wissen. Aber wir können mit Behutsamkeit und Bescheidenheit die Erfahrungen betrachten. Dann ist die Kunde von den Sternen und ihren Auswirkungen einfach eine sehr alte und ernsthafte Wissenschaft. Umgekehrt kann das Gesagte auf jede Wissenschaft angewendet werden. Verleiht sie vermeintliche Allmacht, ist sie Aberglaube.

nvb 1999, 9.2023